Donnerstag, 9. November 2006
Neuro-Marketing, klingeling.
therbrich, 12:46h
Eine neue Hype geistert durchs Marketing: Neuromarketing. Hirnforschung soll die Werbewirksamkeit steigern! Probanden mussten in einem Kernspintomographen Werbung anschauen – und siehe da: Im Gehirn hat was geleuchtet! Toll! Zwar weiß noch keiner, warum da was leuchtet – aber die Marktforscher haben einen neuen Geschäftszweig. Sie attestieren sich „das Potential, die Markenführung grundlegend zu revolutionieren“, sogar den „direkten Zugriff auf das Gehirn des Verbrauchers“.
Das schaffen wir auch! Als erstes improvisieren wir uns mal einen Kernspin-Tomographen. Dazu verwenden wir eine alte Bauknecht Backröhre, und koppeln sie mit einem –äh- Kathodenstrahl, so das Übliche. Als Liege reicht uns ein Bügelbrett. Die wirklichen Geräte sind ganz genauso gebaut, bloß schicker!
Dann brauchen wir noch einen Probanden, da muss mal wieder mein Bruder Markus ran. In der Röhre wird ihm die aktuelle BUNTE vorgeblättert. Aha, auf dem Monitor kann man deutlich sehen, dass es im Gehirn leuchtet!!!! Es handelt sich um das so genannte „Belohnungszentrum“. Am stärksten strahlt es bei einer Waschmittelanzeige. Na bitte: Ein schlagender Beweis für das Potential der Hirnforschung!
Jetzt gehe ich noch einen Schritt weiter: Ich werde direkt auf das Hirn des Probanden zugreifen. Ich gebe ihm mithilfe des –äh- Magnetresonanz-Indoktrinators meine Werbebotschaft ein: ATA, das Scheuerpulver. (Das Verfahren stammt aus der Parteienwerbung, und es funktioniert vorerst nur bei Marken mit drei Buchstaben). „Kaufe ATA! ATA macht dich glücklich!“ Das Hirn zeigt bereits deutlich die ATA „Indoktrination“, wie die Wissenschaftler sagen.
Gelingt es „den Verbraucher zielgerichtet zum Käufer zu machen und die Marke nachhaltig im Hirn zu manifestieren“ wie es die Werbeagentur BBDO orakelt?
Bereits nach 30 Minuten setzt bei meinem Bruder die Kauflust ein. Er verspürt immer stärker den Wunsch, etwas zu kaufen. Wir begleiten ihn zum Supermarkt. Was wird er kaufen? Tatsächlich: ATA! Neuro-Marketing funktioniert also wirklich! Juhu!
Sie halten meinen Kernspintomographen und die Ergebnisse für totalen Quatsch?
Ich behaupte: Meine Erkenntnisse sind ganz genauso viel wert wie die der Neuromarketing-Hirnforscher!
Man kann sich nur wundern über die Leute, die wie Klein-Fritzchen glauben, man könne den Verbraucher mittels Hirnforschung manipulieren. Wie anders würde wohl eine Anzeige aussehen, die die ach so neuen Forschungsergebnisse des Neuromarketings einsetzt? Ich weiß auch jetzt schon die zentrale Erkenntnis der Hirnforscher! Sie wird lauten: „Hört auf damit, die Leute zu langweilen!“
Ich vermute, der Grund für diese Hype liegt in der zunehmenden Ängstlichkeit und Entscheidungsschwäche aller Beteiligten. Es wird viel zu viel getestet, von Bedenkenträgern totgeredet und weichgespült. Und am besten noch wissenschaftlich überprüft, dann ist keiner schuld am Misserfolg – bloß der doofe Konsument.
Gibt es denn irgendeine überragende Werbekampagne, die aufgrund einer wissenschaftlichen Methodik entstand? Ich kenne keine. Genauso wenig ließe man einen Computer einen Liebesbrief schreiben...
„Wie geht es Markus mittlerweile?“ „Besser. Er hat eine Partei gegründet.“
beste Grüße!
Thomas "Sisyphus" Herbrich
www.herbrich.com
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